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Single point of failure

Komplexe Systeme erzeugen komplexe Fehler. Zentralisierte komplexe Systeme erzeugen im Fehlerfall kleine Katastrophen.

Der Ausfall des Kommunikationssatelliten Galaxy IV am 05. Mai diesen Jahres, der PanAmSat Hughes, der größten amerikanischen Satellitenbetreiberfirma gehört, war in seinen Auswirkungen bislang einzigartig. Galaxy IV transportierte zu Lebzeiten neben einigen Übertragungskanälen für Fernsehüberspielungen und diversen landesweiten Radioprogramme die Daten für alle größeren Pagernetze in den USA. Pager (hierzulande untern den Namen Cityruf, Scall, Quix, Telmi oder Skyper bekannt) haben in Nordamerika eine wesentlich größere Bedeutung als in Europa. Da in den meisten Mobiltelefonnetzen der USA der Teilnehmer auch für ankommende Anrufezahlt, ist es üblich das Mobiltelefon ausgeschaltet zu haben und sich über einen Pager über Kommunikationswünsche benachrichtigen zu lassen. Viele Amerikaner benutzen ihren Pager auch als einziges Mobilkommunikationsmittel, insbesondere wenn sie in Bereitschaftsberufen, etwa als Arzt oder Feuerwehrmann, arbeiten. Da die Landfläche der USA relativ groß ist, wäre eine Versorgung der Sender des Pagernetzes mit den Daten zur Aussendung über Kabel recht kostspielig. Deshalb werden dort schon sehr lange die Daten von der Zentrale zu den Sendern per Satellit verteilt. Der meistgenutzte Satellit für diesen Zweck war nun Galaxy IV. Dies hatte einerseits mit der dafür besonders geeigneten Kanalstruktur der Transponder und andererseits mit der nahezu idealen Ausleuchtzone des Satelliten zu tun. Von dem Blackout waren nach Schätzungen etwa 45 Millionen Pagerkunden betroffen. Der Ausfall wurde, wenn man den Erklärungen von PanAmSat glauben darf, durch die Fehlfunktion des zentralen Steuerrechners und das Versagen des Backupsystems asugelöst. Der Satellit reagierte nicht mehr auf Korrekturkommandos von der Erde und drehte die Antennen aus der Erdrichtung. Hektische Versuche den Satelliten wieder unter Kontrolle zu bringen, führten zu keinem Ergebniss, außer der wenig hilfreichen Erkentniss, daß das wertvolle Gerät sich in einem "Safe State"" befinde. Für nicht mit der sensiblen Wortwahl der Raumfahrtingeneure vertraute Mitmenschen: er hat sich in eine Art Tiefschlafmodus begeben, bei dem es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß er von selbst wieder aufwacht. PanAmSat entschied sich nach etlichen kostspieligen Stunden, nicht mehr auf eine Wiederherstellung der Kommunikation mit dem Satelliten zu hoffen und Notfallpläne einzuleiten. Kunden von Nachrichtenagenturen und Börseninformationssystemen wurden auf andere Satelliten, Kurzwellenaussendungen und sogar Internetlinks umgestellt. Radiosender, die ihre Nachrichten von Fremdanbietern wie landesweiten öffentlichen Rundfunksendern beziehen, besorgten sich die Texte oder sogar die gesprochenen Beiträge übers Internet. Die Pageranbieter begannen irgendwie Backup-Verbindungen zu den Sendern in den Ballungszentren hochzubringen und mit der Neuausrichtung der Satellitenschüsseln auf Ersatzsatelliten zu beginnen. Nach einigen Tagen waren alle Systeme wieder in einem Zustand, der als "Normal"" betrachtet wird. Das technisch wie verschwörungstheoretisch interessante am Galaxy IV-Ausfall ist, daß es bereits der dritte Satellit in Serie war, bei dem ein Ausfall der Kommunikationsverbindung zur Kontrolle der Flugbewegungen zu einem Totalverlust führte. Zuvor waren Indiasat (der wichtigste Satellit für Indien) und Earlybird1 (der erste wirklich hochauflösende kommerzielle Erdbeobachtungssatellit) auf diese Art verloren gegangen. In diesem Zusammenhang bekommen die Gerüchte, wonach aus dem Wrack eines zivilen US-amerikanischen Kommunikationssatelliten, der beim Abschuß mit einer chinesischen Rakete abstürzte, zentrale Baugruppen für die Verschlüsselung der Kontrolkommunikation fehlten, eine ganz unerwartete Brisanz. Probleme der "natürlichen"Art mit Satelliten werden sich möglicherweise in den nächsten zwei Jahren häufen, da ein Sonnenfleckenmaximum ansteht (das in der Regel zu Beeinträchtigungen aller Art in der Umlaufbahn und im Funkverkehr führt) und der Meteoritenschwarm der Leoniden demnächst die Erdbahn kreuzt.

frank@ccc.de

 

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